Man nehme einmal Männlichkeitsvorstellungen, Aggressivität, testosterongesteuerte Maskulinität und patriarchalische Strukturen und mische sie mit Minderwertigkeitskomplexen durch kulturelle Erziehungsmethoden, die Schwäche unterdrücken, Individualität verhindern und Kinder zwingen, die verletzte Ehre zu verteidigen - wenn nötig auch mit Gewalt. Heraus kommt eine explosive Mischung, von der wir in Berliner Schwimmbädern regelmäßig eine Kostprobe bekommen. In Zukunft werden wir diese eher noch verstärkt zu spüren bekommen.
Als ich damals nach Deutschland kam, war ich mit vielem hier sehr überfordert. Vieles war neu und unbekannt, ja teilweise sogar komisch für mich. Trotzdem hatte ich Respekt vor dem Land, das mich aufgenommen hat. Ich wollte schnell die Sprache lernen, war mir meines Privilegs bewusst und hatte dementsprechend große Angst, es schon mit kleinsten Fehltritten zu verspielen. Ich hätte mich nicht einmal getraut, die Straße bei Rot zu überqueren, damit ich bloß keine Probleme mit der Ausländerbehörde bekomme. Ich war und bin noch immer sehr dankbar, hier eine neue Chance bekommen zu haben. Denn Integration ist ein lebenslanges Lernen und Reflektieren.
Lesen Sie auch:
Mehrere Vorfälle deutschlandweit - Freibäder wegen Gewalt nicht mehr sicher? Betreiber wehren sich und setzen auf Kontrolle
Damit ist übrigens nicht gemeint, bestimmte deutsche Klischees erfüllen zu müssen. Ich muss nicht am Wochenende unbedingt Spazierengehen und mein Feierabendbier als hoch und heilig betrachten, es geht überhaupt nicht darum, die eigene Kultur, Tradition oder Religion zugunsten einer anderen aufzugeben. Es geht lediglich darum, sich an die Grundregeln einer offenen und demokratischen Gesellschaft zu halten. Dafür braucht es Offenheit, dieser Gesellschaft zu begegnen.
Und Weitsicht, um zu erkennen, dass, wer diese Regeln ignoriert, seinen Teil dazu beiträgt, den Frieden (der womöglich Auslöser für die Zuwanderung war) zu zerstören.
Die Art und Weise, wie sich manche Männer, die erst wenige Zeit in Deutschland sind, Polizisten gegenüber verhalten, macht mich immer wieder fassungslos. Das Verhalten ist symptomatisch dafür, dass die Beamten, das Justizsystem und die gesamte Gesellschaft als schwach, als verachtenswert, aber auch als inkonsequent wahrgenommen werden. Weil wir als Demokratie darauf ausgerichtet sind, alle Menschen gerecht und gleichberechtigt zu behandeln, kann die Absenz von autoritärem Auftreten zu Konflikten führen. Logisch, denn: in patriarchalischen Strukturen gewinnt der Mächtigere, nicht der Gerechtere.
Lesen Sie auch:
"Ich bin wütend und bestürzt" - Familie droht Abschiebung zu brutalem Vater: Wie ich meine Schülerin Marie retten will
Was passiert also mit Menschen, die aus Staaten kommen, in denen die Polizei, der Vater, die Religion und sogar Lehrer autoritär auftreten und Gewalt dazu benutzt wird, den Bürgern, Kindern oder Schülern Angst zu machen? Staaten, in denen die Polizei jeden verhaften kann, ohne es begründen zu müssen, Lehrer und Väter blinden Gehorsam erwarten und jedwede Abweichung mit körperlicher Gewalt sanktioniert wird? Wie reagieren diese Menschen, wenn sie plötzlich in ein Land wie Deutschland kommen, das demokratisch funktioniert, in dem Menschen auch eine zweite und dritte Chance bekommen - was ja an sich gut ist Immer wieder werden diese positiven Eigenschaften als Schwäche wahrgenommen. Und Schwäche kann leicht ausgenutzt werden, nach der Devise: Die Polizei kann mir nichts, die Gesellschaft kann mir nichts. Auch wenn ich bei irgendetwas erwischt werde, passiert mir kaum etwas - wenn überhaupt.
Die aktuellen Zahlen, die die WELT aus dem aktuellen Lagebericht des Bundeskriminalamtes zur
Viele dieser Menschen verwechseln Respekt mit Gehorsam. So sind das Beamtentum, die Polizei, die Politik und auch die Familien in patriarchalischen Gesellschaften aufgebaut. Wenn nun Familien aber in Gesellschaften ankommen, in denen ein ganz anderes Konzept verfolgt wird, das viel mehr Eigenverantwortung einfordert, dann kann die Durchsetzung des Gehorsams - meist in Form von Bestrafung - nur noch im privaten Raum erfolgen und die letzte mögliche Instanz der Eltern und insbesondere der Väter darstellen. Wo sonst könnte diese Autorität noch ausgelebt werden?
Hier kommen wir zu einem weiteren wichtigen Aspekt, der miteinbezogen werden muss. In meiner Arbeit mit Jugendlichen spielt Gewalt in der Erziehung eine riesige Rolle. In Familien, in denen Gehorsam als das wichtigste Erziehungsziel gesehen wird, ist psychische Gewalt leider nicht selten. Diese verhindert oftmals eine individuelle Entfaltung, denn die Kinder müssen sich einzig durch das Kollektiv definieren und dementsprechend unterordnen. Sie lernen schnell, dass sie in dieser Struktur allen, die in der familiären und gesellschaftlichen Pyramide über ihnen stehen, mit Gehorsam begegnen müssen. Nach dem Motto "Nach oben beugen, nach unten treten". Systematisch unterdrückt zu werden, lässt Minderwertigkeitskomplexe entstehen, die wiederum durch Gewaltausbrüche und toxische Männlichkeit kompensiert werden müssen.
Und wo geschieht das? Auf der Straße, in der Schule, in der Begegnung mit der Polizei oder halt in Freibädern.
Wer die Chancen, die er in diesem Land bekommt, nicht im Sinne einer Chance versteht, sich zu verändern, sondern als Freifahrtschein, so weiterzumachen wie bisher, und wer dieses Land verachtet, schwach findet oder für moralisch minderwertig hält dem wird es nicht gelingen, sich in die hiesige Demokratie zu integrieren.
Die Lösung für dieses Problem ist sicher nicht, Polizisten mit Schlagstöcken auf die Straße zu schicken, damit sie sich ihre Autorität zurückholen. Dafür hat diese Gesellschaft zu lange dafür gekämpft, genau solche Zustände abzuschaffen. Doch gleichzeitig brauchen Polizisten, Lehrer, Autoritäten in Freibädern auch mehr Rückhalt - aus der Politik, der Gesellschaft und vor allem von der Justiz. Es muss innerhalb des demokratischen Spielraums möglich sein, solche Menschen zu verfolgen und entsprechend zu bestrafen. Doch was machen wir? Stattdessen beauftragen wir problematische Imame, um für Ruhe zu sorgen. Wir versuchen das Problem zu outsourcen, nach dem Motto: Hauptsache nicht damit beschäftigen, einfach unterdrücken, ignorieren und hoffen, dass es nächstes Jahr vielleicht kein Thema mehr sein wird. Kein Plan, keine Strategie, kein Konzept.
Wenn wir diesen Menschen nicht einmal zutrauen, selbst für ihre Taten verantwortlich zu sein, dann entmündigen wir sie und verhindern echte und ehrliche Debatten über die kulturellen Ursachen.
Quelle: focus.de